Kastellaun im Technofieber

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Kastellaun. Volker Berger drapiert die Ohrenstöpsel gut sichtbar auf einem Tisch am Eingang seiner Apotheke. Davon werde er am kommenden Wochenende mehr verkaufen als sonst das ganze Jahr, erzählt der Apotheker aus der Hunsrück-Gemeinde Kastellaun. In dem 5000-Einwohner-Ort zwischen Mosel und Rhein werden in den nächsten Tagen rund 60 000 junge Menschen haltmachen, auf ihrem Weg zur früheren US-Raketenbasis Pydna. Dort steigt von Freitag bis Sonntag zum 15. Mal eines der europaweit größten Freiluftfestivals für elektronische Musik «Nature One».

Auf einer Waldlichtung zwischen Bunkerhügeln, Stacheldraht und Hallen werden Laserblitze durch den Nachthimmel jagen, meterhohe Boxen wummernde Bässe in die tanzende Menge pumpen und schweißglänzende Körper im Stroboskoplicht zucken. Auf Bühnen, in Bunkern und Hallen fingert an den Plattentellern das Who-is-Who der Discjockeys. Carl Cox, Paul van Dyk und Sven Väth sowie 300 weitere DJs spielen von Ambient über House bis Minimal und Techno alle Spielarten elektronischer Musik. Techno-Pionier Paul van Dyk fiebert einem «fantastischen Wochenende» entgegen.

Festivalmacher Nikolaus Schär schwärmt von der «mystischen Atmosphäre» auf dem früheren Militärgelände, wo im Kalten Krieg Atomwaffen lagerten. Ein Festival solchen Ausmaßes – mit Musik bis zum Morgengrauen – sei nur in der tiefen Provinz machbar, nicht in Großstädten wie Berlin, sagt Schär. Anfangs seien noch 13 000 Technofans in den Hunsrück gepilgert, mittlerweile seien es 60 000 aus dem In- und Ausland. Schär fühlt sich bestätigt: «Was im
Rock’n’Roll machbar war, geht auch bei Techno.«

Bürgermeister Marlon Bröhr (CDU) heißt die Raverschar «herzlich willkommen». «Ein bisschen Ausnahmezustand» sei das ja schon. «Aber es ist schön, so viele Menschen zu sehen», sagt er. Für Kastellaun sei das jährliche Spektakel die beste Werbung und «wirtschaftlich wunderbar für die Region». Nicht nur die Eisdiele am Marktplatz profitiere finanziell davon. Auch die Bauern, auf deren Feldern sich die Abertausenden Zelte der Gäste ausbreiten.

Johannes Birk vom Gewerbeverein erzählt: «Jeder, der etwas anzubieten hat, macht das.» Hotels, Pensionen und Privatzimmer im Umkreis von 50 Kilometern seien ausgebucht. Uschi Mutlack vom Hotel «Altes Stadttor» freut sich auf ihre «Natur-One-Stammgäste», Der Älteste sei 55, komme seit neun Jahren und habe vor drei Jahren «auf der Nature» geheiratet.

Auch der Leiter des städtischen Hallenbads reibt sich die Hände.
«Die Raver kommen in Bussen zum Duschen», erzählt Marcus Reinhard.
Statt 200 Gästen am Tag strömten während des Festivals 4000 in das Bad. Den Eintrittspreis verdoppele er daher auf fünf Euro. Nächste Woche werde er das Bad dann für zwei Tage geschlossen und gründlich gereinigt.

Ein Großeinsatz ist das Open Air auch für die Polizei. Zwar gehe es auf dem »Nature One« «friedlicher» zu als bei manch anderem großen Festival wie etwa „Rock am Ring», sagt Kriminalkommissarin Margot Brenk. Das liege wohl am geringeren Alkoholkonsum. Besonders achtsam seien die Beamten jedoch im Hinblick auf illegale Drogen. Rings um das Gelände sind «flächendeckende Personen- und Fahrzeugkontrollen» angekündigt. Den Grund liefert die Bilanz früherer Jahre: 2008 wurden
Tausende Ecstasy-Pillen, mehrere Kilogramm Amphetamine und Cannabis beschlagnahmt sowie 900 Strafverfahren eingeleitet. «Trotzdem ist
‚Nature One‘ keine Drogenveranstaltung», betont Kommissarin Brenk.