Informationen sind wichtig, alles andere mache ich alleine

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Rollatoren, Scooter, Taststöcke, Rollstühle – im Straßenbild sieht man sie immer öfter. Zehn Millionen Menschen leben in der Bundesrepublik mit einer Einschränkung, die besondere Maßnahmen oder Hilfsmittel erfordert, wenn sie am öffentlichen Leben teilhaben wollen. Darum ging es in einer Podiumsdiskussion zum Thema „Barrierefreies Reisen“ auf dem Deutschen Skål-Tag am 2. Mai in Celle/Niedersachsen. Bezeichnenderweise war das Thema um den Zusatz „nicht nur für Mobilitätseingeschränkte“ erweitert, und damit wurde von Anfang an deutlich, dass Barrierefreiheit ein Gewinn für alle Menschen sein kann. Schließlich befinden sich Väter und Mütter, die einen Kinderwagen schieben, in einer ähnlichen Lage wie Rollstuhlfahrer: Treppen können zum unüberwindlichen Hindernis werden. Barrierefreiheit wurde in dieser Diskussion sehr rasch mit einer Steigerung der Lebensqualität gleichgesetzt.

Moderiert von Kerstin Tack (MdB), der behindertenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, äußerten sich auf dem Podium zum Thema: Alexander Mayrhofer von der Thüringer Tourismus GmbH, Stefan Strunck vom Fraunhofer Institut, Hans Joachim Wöbbeking vom Bundesverband Polio und Werner Gläser, der den Blinden- und Sehbehindertenverband vertrat. Wer mit der Vorstellung gekommen war, es gäbe eine einheitliche Definition für den Begriff „Barrierefreiheit“, der wurde durch die Diskussion eines Besseren belehrt. Vielmehr zeigte sich, dass jede Art von Behinderung ihre ganz speziellen Ausdrucksformen und Bedürfnisse hat. Rollstuhlfahrer etwa schätzen ebenerdige Wege und Zugänge, Sehbehinderte dagegen brauchen Niveauunterschiede, die sie mit ihren langen weißen Stöcken ertasten. Wie sogenannte taktile Elemente – Noppen und Rillen auf dem Untergrund – ermöglichen ihnen kleine Hindernisse die Orientierung.

Weil es keine Barrierefreiheit für alle gibt, können Menschen mit Behinderung auch nichts mit den gängigen Begrifflichkeiten anfangen. Hinweise wie „behindertengerecht“ oder „behindertenfreundlich“ seien wenig aussagefähig. Nur eine konkrete Beschreibung der Örtlichkeiten mit exakten Maßen etwa zur Höhe von Treppenstufen oder der Türbreite nütze den Betroffenen. In diese Richtung gingen denn auch die Wünsche. „Ich möchte so viele Daten wie möglich haben, damit ich selbst entscheiden kann, ob ein Vorhaben für mich infrage kommt oder nicht“, sagte Hans Joachim Wöbbeking, den Spätfolgen einer Polioerkrankung nach einem aktiven Berufsleben in den Rollstuhl zwangen. Nach wie vor schätzt er es, seine Unternehmungen selbst zu planen: „Das mache ich alleine.“

An solchen Datensammlungen wird bereits intensiv gearbeitet. Stefan Strunck verwies auf ein dreijähriges, vom Bundesbildungsministerium unterstütztes Forschungsprojekt zur Fragestellung „Was brauchen ältere Menschen, um sorgenfrei zu reisen?“ Am Zahlenmaterial aus den Erhebungen bei den Projektpartnern, dem Tourismusverband Ruppiner Seenland und Schwäbische Alb Rehazentrum in Bad Urach zeigte sich Alexander Mayrhofer sehr interessiert. „Wir können uns daran orientieren“, meinte der Thüringer Tourismusexperte und vereinbarte einen Erfahrungsaustausch mit dem Institut. Thüringen gilt als Vorreiter des barrierefreien Reisens. Entsprechende Angebote sind von Experten geprüft. Sie berücksichtigen zudem die gesamte Servicekette, von den Örtlichkeiten über das Personal bis hin zu technischen und technologischen Lösungen.

Oftmals sei schon viel gewonnen, wenn Verständnis für die Situation der Betroffenen gezeigt werde, waren sich die behinderten Diskussionsteilnehmer einig. Der mit einer Makula-Erkrankung lebende Werner Gläser nannte ganz pragmatische Beispiele, wie sehbehinderten Menschen das Zurechtfinden in der Öffentlichkeit erleichtert werden kann: Bei Treppen sollten die erste und die letzte Stufe als solche gekennzeichnet werden. Türen nehmen die Betroffenen leichter wahr, wenn der Rahmen dunkler gehalten ist als das Türblatt. In Nasszellen verwirrt einheitliches Weiß – farbige Objekte sind dagegen hilfreich.

Während die Erkenntnisse über Barrierefreiheit in Neubauten problemlos berücksichtigt werden können, sind bei älteren Anwesen oft Kompromisse zu schließen, oder sie erscheinen für eine Umrüstung gänzlich untauglich. Dies sollte aber kein Grund sein, sich aus dem Thema auszuklinken, meinte Alexander Mayrhofer. Stattdessen empfahl er, die Möglichkeiten genau zu prüfen. Oftmals entdecke man dabei barrierefreie Angebote, an die man gar nicht gedacht habe. Als Beispiel nannte er ein historisches Gasthaus, dessen Inhaberin gerade die Gebärdensprache erlernt, weil der Enkel hörgeschädigt ist – eine Fähigkeit, die auch anderen Hörbehinderten nutzt. Auch könnten Leistungsträger sich gegenseitig unterstützen: „Wenn der Gastwirt keine behindertengerechte Toilette hat, dann hat vielleicht der Nachbar eine.“ Ohnehin, das machte die Diskussion deutlich, funktioniere Barrierefreiheit dort am besten, wo sich Menschen und Einrichtungen dafür engagieren.

Eine komplett barrierefreie Gesellschaft werde es wohl nicht geben können, zog Moderatorin Kerstin Tack am Ende der zweistündigen Diskussion in ihrem Schlusswort Bilanz. Doch befinde man sich auf dem richtigen Weg, und es sei lohnenswert, sich von dieser Vision zumindest leiten zu lassen. Die Skål-Mitglieder im Publikum, die in den verschiedensten touristischen Einrichtungen Verantwortung tragen, verließen den Saal um viele Erkenntnisse reicher.

Die Podiumsdiskussion war Bestandteil des Fachprogramms beim Deutschen Skål-Tag, der vom 1. bis 3. Mai in Celle stattfand. Rund 80 Skål-Mitglieder und Gäste aus 26 deutschen Skål-Clubs waren zu diesem Jahrestreffen in die Welfenstadt gereist.