Deutschland noch kein erstklassiges Reiseziel für Chinesen

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Im Jahr 2014 werden die Chinesen über 100 Millionen Auslandsreisen unternehmen. Und dank einer wachsenden, finanziell gut ausgestatteten Mittelschicht wird sich diese Zahl innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln. Steigende Passagierzahlen und wachsende Reisebudgets chinesischer Touristen und Geschäftsreisender lassen deren Konsumausgaben in die Höhe schnellen. Auch in Deutschland werden Tourismus und Handel von diesem Boom profitieren – insgesamt jedoch etwas verhaltener als andere westliche Länder. Denn an der Spitze der beliebtesten Reiseziele chinesischer Touristen stehen neben der Region „Greater China“ (mit Hongkong, Macao und Taiwan) vor allem Frankreich, Großbritannien und die USA. Deutschland gilt zwar als sicher und gut organisiert, doch Touristenattraktionen und Shopping-Möglichkeiten werden vergleichsweise schwach bewertet.

„Wir halten den Reisestrom aus China in westliche Länder für nachhaltig. Das Einkaufsbudget ist im Vergleich zu Reisen in der Region „Greater China“ zwei- bis dreimal so hoch. Doch vielen Händlern fehlt eine klare Strategie, um das Potenzial auszuschöpfen. Die Voraussetzung ist ein tiefes Verständnis der verschiedenen Kundensegmente, denn den chinesischen Reisenden gibt es nicht“, so Kerstin Lehmann, die für den Handelsbereich verantwortliche Partnerin bei OC&C in Deutschland.

Shopping ist ein zentraler Beweggrund für Auslandsreisen

Als Motivation für Auslandsreisen geben die meisten Befragten mehrere Beweggründe an – für 75 % ist Sightseeing Hauptzweck der Reise, gefolgt von Shopping, das von 61 % der Befragten genannt wird. Den Ruf als „Big Spender“ verdanken chinesische Touristen aber auch den hohen Ausgaben für Einkäufe: Sie machen durchschnittlich fast die Hälfte (44 %) des Reisebudgets aus. Dabei kaufen chinesische Reisende nicht nur für sich ein: Mehr als 80% geben an, Einkäufe auch für Familie, Freunde und Bekannte getätigt zu haben. Die Käufe für Dritte werden meist im Vorfeld geplant, während Entscheidungen über Einkäufe für den Eigenbedarf häufig vor Ort gefällt werden. Verfügbarkeiten und Preise prüfen Reisende allerdings auch bei diesen Käufen gerne bereits vor ihrer Abreise.

„Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Chinesen auf Reisen vor allem in größeren Gruppen unterwegs sind. Tatsächlich nehmen Individualreisen kontinuierlich zu – gerade unter vermögenden, gut gebildeten Chinesen. Die Reisenden planen zunehmend selbst und informieren sich eingehend. Händler, die chinesische Touristen und Geschäftsreisende für sich einnehmen wollen, müssen daher individuelle und direkte Marketingaktivitäten frühzeitig starten. Es gilt, die Reisenden bereits vor Antritt ihrer Reise zu erreichen“, so Kerstin Lehmann.

Nicht nur der Preis entscheidet über den Kauf – Originalprodukte stehen im Fokus der Reisenden

Interessant ist der Blick auf zentrale Faktoren, die die Kauflust der Reisenden aus China begründen: Wohl aufgrund der vielen gefälschten Markenprodukte auf dem Heimatmarkt geben 88 % der Befragten an, sie wollen im Ausland vor allem Originalprodukte erwerben. Obwohl der günstige Preis also vielfach nicht im Vordergrund steht, sind Chinesen doch auf der Suche nach einem guten Deal. Das erklärt die Attraktivität von Duty-Free-Shops und anderen steuerfreien Kanälen. Hier geben chinesische Touristen und Geschäftsreisende knapp 40 % des Einkaufsbudgets aus. Wichtig ist Reisenden aus China zudem eine große Produktauswahl – Warenhäuser und Einkaufszentren vereinen daher weitere 27 % des Einkaufvolumens auf sich. Zu den wichtigsten Produktgruppen für Chinesen zählen Kosmetika, Kleidung und Lederwaren. Im Vergleich zu anderen Ländern werden in Deutschland zudem verstärkt Kochgeschirr und Koffer nachgefragt – insbesondere deutsche Messer genießen in China einen ausgezeichneten Ruf.

„Da die „Customer Journey“ für immer mehr chinesische Reisende bereits weit vor Reiseantritt beginnt, sollten Händler frühzeitig Kontaktpunkte mit der Marke etablieren. Gerade Händler ohne Präsenz in China sind gut beraten, ihre Marketingaktivitäten gezielt auch auf den chinesischen Markt auszurichten. Das Luxus-Warenhaus Harrods macht das mit einem täglich aktualisierten Weibo-Account schon sehr erfolgreich“, schließt Kerstin Lehmann mit einem Rat für die Unternehmen aus dem Handel und der Konsumgüterindustrie.