Das laufende Jahr gilt eigentlich als gutes Jahr für die Luftfahrtbranche: Niedrige Treibstoffkosten, stabile oder sogar sinkende weitere Kosten sowie steigende Passagierzahlen sind die besten Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg. Doch die Erträge der Fluggesellschaften leiden nach wie vor unter Überkapazitäten, verstärktem Wettbewerb und preissensiblen Kunden. Das ist das Ergebnis des „Aviation Radar 2015“ von Roland Berger und der „Aviation Convention 2015“, die zum zweiten Mal in Köln stattfand. Die gemeinsame Veranstaltung von Roland Berger, dem DLR und der RWTH Aachen bot hochkarätigen Referenten und Managern der Luftfahrtindustrie eine internationale Plattform, um sich über die Zukunftstrends der Branche auszutauschen.
„Das Wachstum in der Luftfahrtbranche findet vor allem im Mittleren Osten und in Asien statt“, sagt Martin Streichfuss, Partner von Roland Berger. Um im Wettbewerb mitzuhalten setzen viele traditionelle Anbieter auf Sparprogramme und Restrukturierungsmaßnahmen sowie auf die Optimierung der Kabinenauslastung. „Wir gehen deshalb davon aus, dass sich das Geschäftsmodell von Billigfluglinien auch bei den traditionellen Anbietern durchsetzen wird“, sagt Streichfuss.
„Die künftige Entwicklung der Luftfahrtbranche in den unterschiedlichen Regionen aber auch die Entwicklungsperspektive der einzelnen Akteure wie Flughäfen, Fluggesellschaften und Flugsicherungen ist derzeit konkret schwierig vorherzusehen“, meint Prof. Johannes Reichmuth, Direktor des DLR-Instituts für Flughafenwesen und Luftverkehr und Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen. „Durch vielfältige, auch zufällig eintretende, äußere Ereignisse sind deutliche Schwankungen in den Entwicklungen zu beobachten. Beispielsweise wird der Ausbau von Infrastruktur in wirtschaftlich starken, vollentwickelten Regionen immer schwieriger zeitgerecht umsetzbar sein. Dies wird das global schon bestehende Ungleichgewicht zwischen hoch belasteten Luftverkehrsknoten und kleineren, weniger ausgelasteten Flughäfen verstärken“, sagt Reichmuth.
Flughäfen reizen Potenzial nicht voll aus
Die Luftfahrtexperten von Roland Berger haben die Situation der Flughäfen analysiert: Obwohl diese in enger Wechselbeziehung mit den Fluglinien agieren, haben sie eigene Herausforderungen und beschreiten andere Entwicklungspfade. Dazu gehört etwa, dass sie bereits begonnen haben, ihr Geschäftsmodell neu aufzustellen und neue Entwicklungsoptionen in ihre Strategie aufzunehmen. „Viele Flughäfen haben ihr Geschäftsmodell bereits neu erfunden“, sagt Kai-Marcus Peschl, Principal von Roland Berger. „Das reicht von einer Ausweitung des Angebots an den Flughäfen, über die engere Zusammenarbeit mit Fluggesellschaften und anderen Partnern bis hin zur Entwicklung neuer urbaner Siedlungen.“ Auch den Aufbau neuer Geschäftsfelder haben viele zumindest begonnen: von der Erhebung und Nutzung kundenbezogener Daten wie Ziel, Zweck und Häufigkeit von Reisen bis hin zum Ausbau des digitalen Angebots wie Selbst-Check-in, WLAN-Zugang, Parkplatz- oder Taxibuchung über das Internet.
„Dennoch reizen die Flughäfen das Potenzial zusätzliche Umsätze zu generieren, bei weitem nicht aus“, stellt Peschl fest. „Nur wenige Airports haben ein Customer Relationship Management System oder arbeiten konsequent mit Big Data. Und die erhobenen Daten beschränken sich meist auf wenige Informationen, zum Beispiel zu den Reisemotiven.“ Auch bei den digitalen Angeboten sei noch viel Spielraum: Weiter reichende Online-Services wie die Buchung von Hotels, Carsharing-Angebote, Sightseeing und anderen Services gibt es nur an wenigen Flughäfen, genauso wie E-Payment, automatisierte Gepäckaufgaben oder sogar eine digitale Zollabfertigung.
„Wir sehen hier vor allem auch einen großen Unterschied zwischen kleinen und großen Flughäfen“, erklärt Streichfuss. Größere Airports investieren stärker in die digitale Weiterentwicklung als kleinere. Und viele der größeren Flughäfen haben bereits einen Chief Data Officer; auch hier liegen die kleineren Flughäfen zurück.
Neue Einnahmequellen erschließen
Deshalb empfehlen die Luftfahrt-Experten eine Reihe von Maßnahmen, mit denen Flughäfen das Potenzial kundenorientierter und digitaler Lösungen besser ausschöpfen können. Dazu gehören unter anderem die Planung und Festlegung gezielter Investitionen, die Identifizierung der relevantesten potenziellen Einnahmenströme auf Basis erhobener Daten sowie Partnerschaften mit Fluglinien und Einzelhändlern, um die Kundendaten optimal nutzen zu können.
Auch den Fluggesellschaften, die bisher eher zurückhaltend in Big-Data-Systeme oder andere kundenzentrierte Lösungen investieren, empfehlen die Experten eine neue Herangehensweise. Zwar haben bereits viele Fluggesellschaften Teams, die sich explizit mit Geschäftslösungen auf Basis von Kundendaten befassen. Doch das reicht nicht aus. „Die Digitalisierung wird die gesamte Branche nachhaltig verändern“, sagt Streichfuss. „Und sie wird sowohl Flughäfen als auch Fluggesellschaften mit neuen Wettbewerbern konfrontieren.“
Um im digitalen Geschäft zu bestehen, sind eine starke Marke, Kundenorientierung und maßgeschneiderte Angebote essenziell. Deshalb empfiehlt Streichfuss unter anderem die Bildung einer unabhängigen Geschäftseinheit: „Es geht darum, das datenbasierte Geschäft neu zu definieren. Flughäfen sollten ihren Kunden eine durchgehende Reiseerfahrung bieten: vom Betreten des Abflug-Airports bis zum Ziel – in enger Kooperation mit weiteren Flughäfen und Einzelhändlern.“ Ein Smart Data-Ansatz, basierend auf den drei Säulen Kundendaten, Digitalisierung und Multichannel, könnte für Fluglinien und Flughäfen neue Einnahmequellen erschließen und sie im globalen Wettbewerb stärken.
Den „Aviation Radar 2015“ können Sie hier herunterladen: www.rolandberger.de/pressemitteilungen/
Weitere Informationen über die „Aviation Convention“ finden Sie unter: www.aviation-convention.com