Fluggesellschaften in Europa werden 2012 deutlich höhere Verluste einfliegen als ursprünglich geplant. Das geht aus der aktuellen Finanzprognose der International Air Transport Association (IATA) hervor, die heute veröffentlicht wurde. Danach erwartet der Luftfahrtverband für Airlines in Europa ein Minus von 1,1 Milliarden US-Dollar. Das sind 500 Millionen US-Dollar mehr und nahezu das Zweifache wie in der Prognose im März 2012 vorhergesagt (600 Millionen US-Dollar). Insgesamt rechnet die IATA unverändert mit Gewinnen in Höhe 3,0 Milliarden US-Dollar für Fluggesellschaften weltweit.
Die höheren Verluste in Europa werden durch ein gestiegenes Wachstum im Passagierverkehr sowie das Durchschreiten der Talsohle beim Frachtgeschäft in anderen Regionen der Welt ausgeglichen. Laut der Vorhersage wird 2012 das zweite Jahr in Folge mit sinkenden Gewinnen für die Branche. Nach 15,8 Milliarden US-Dollar und einer Marge von 2,9 Prozent im Jahr 2010 waren die Gewinne 2011 auf 7,9 Milliarden US-Dollar bei einer Gewinnspanne von 1,3 Prozent gesunken. 2012 erwartet die IATA für Airlines ein Plus von 3,0 Milliarden US-Dollar bei einer Marge von nur 0,5 Prozent.
Verglichen mit der Prognose von März wurden die Gewinnaussichten neben europäischen Carriern auch für Fluggesellschaften im asiatisch-pazifischen Raum sowie dem Nahen und Mittleren Osten nach unten korrigiert. Verbessert hat sich die Finanzprognose hingegen für Airlines in Nordamerika sowie Lateinamerika. Die Vorhersage für Afrika bleibt unverändert.
Tony Tyler, Director General und CEO der IATA: „Die Gewinnprognose von 3,0 Milliarden US-Dollar für die Branche insgesamt bleibt unverändert. Aber nahezu alle Faktoren der Gleichung haben sich verschoben. Bislang ist die Nachfrage in diesem Jahr besser als erwartet. Der Ölpreis ist niedriger als ursprünglich angenommen, was auf die erwartete Schwäche der Gesamtwirtschaft zurückzuführen ist. Die Krise in der Eurozone verhindert eine höhere Rentabilität. Außerdem stehen wir weiterhin vor einer vorhergesagten Netto-Gewinnspanne von lediglich 0,5 Prozent.“
„Obwohl alle Fluggesellschaften gemeinsam vor hohen Ölpreisen und wirtschaftlichen Unsicherheiten stehen, ergeben sich regionale Unterschiede. Für Fluggesellschaften in Amerika gibt es eine verbesserte Prognose für 2012, für alle anderen Airlines wird nun mit weniger Gewinn gerechnet. Für Fluggesellschaften in Europa verschlechtert sich das wirtschaftliche Umfeld rapide und führt zu beträchtlichen Verlusten“, so Tyler weiter.
Schlüsselfaktoren der Prognose:
Wirtschaftswachstum: Die aktualisierte Prognose legt ein schwächeres wirtschaftliches Umfeld in Europa zugrunde als im März 2012. Sie beruht jedoch auf der Annahme, dass sich die Situation in der Eurozone nicht dramatisch verschlechtert und nicht zu einer umfassenden Bankenkrise ausweitet. Die Vorhersage geht ferner davon aus, dass sich die US-Wirtschaft erholt und sich das Wirtschaftswachstum in China abschwächt, jedoch nicht signifikant einbricht. Insgesamt wird im Jahr 2012 mit einem weltweiten Bruttosozialprodukt von 2,1 Prozent gerechnet. Dies sind 0,1 Prozentpunkte mehr als in der Prognose im März.
Ölpreis: Angesichts der Ängste vor einer Rezession durch die Krise in der Eurozone sind die Ölpreise unter die Marke von 100 US-Dollar pro Barrel (Brent) gerutscht. Die Prognose beruht nun auf einem angenommenen Ölpreis von durchschnittlich 110 US-Dollar pro Barrel (Prognose März 2012: 115 US-Dollar pro Barrel). Dennoch machen die Treibstoffkosten noch immer 33 Prozent der Betriebskosten der Fluggesellschaften aus.
Verkehr: Trotz eines langsameren Wirtschaftswachstums ist die Passagiernachfrage – gemessen in Revenue Passenger Kilometers (RPK) – bis April 2012 mit einer überdurchschnittlichen Rate von 6,0 Prozent gewachsen. Wegen wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten in Europa wird in der Prognose mit einem schwächeren zweiten Halbjahr 2012 gerechnet. Dennoch sagt die IATA für das Gesamtjahr ein Passagierwachstum von 4,8 Prozent (Prognose März 2012: 4,2 Prozent) voraus.
Kapazitätsauslastung: Eine begrenzte Ausweitung der Kapazitäten hat zu einer hohen Nutzung der vorhandenen Betriebsmittel geführt. Im Passagiergeschäft hat die Auslastung im zweiten Quartal Rekordwerte erreicht. Im gleichen Zeitraum haben sich die Ladefaktoren im Frachtgeschäft von ihren Tiefständen erholt. Für den Rest des Jahres 2012 wird ein noch langsameres Wachstum der Kapazitäten vorhergesagt.
Kosten und Umsätze: Das begrenzte Wachstum der Kapazitäten, eine hohe Nutzung der Betriebsmittel sowie geringere Triebstoffkosten werden im Jahr 2012 dazu beitragen, den Kostenanstieg auf 7,3 Prozent zu begrenzen. Er hatte im Jahr 2011 noch bei 10,6 Prozent gelegen. Gemäß der Prognose wird das Umsatzwachstum deutlich sinken: Von 9,3 Prozent im vergangenen Jahr auf 5,7 Prozent in 2012.
Rentabilität: 2012 erwartet die IATA Umsätze von 631 Milliarden US-Dollar und Betriebskosten von 623 Milliarden US-Dollar. Der Betriebsgewinn von 8,6 Milliarden US-Dollar ist gerade ausreichend, um Zinsen, Steuern und andere finanzielle Transaktionen zu bezahlen. Unter dem Strich bleibt ein Netto-Gewinn von nur 3 Milliarden US-Dollar in 2012.
Die Zahlen der einzelnen Regionen:
Europa: Mit 1,1 Milliarden US-Dollar erwartet die IATA für Fluggesellschaften in Europa die höchsten Verluste. Diese sind auf die Krise in der Eurozone zurückzuführen. Gemäß der Prognose sinkt das Wachstum der Nachfrage von 6,7 Prozent im Jahr 2012 auf nur noch 2,3 Prozent. Hohe und steigende Steuern belasten europäische Airlines ebenso wie ein ineffizientes Flugverkehrsmanagement.
In Nordamerika rechnet die IATA mit 1,4 Milliarden US-Dollar Gewinn für Airlines. Dies sind 0,5 Milliarden mehr als noch im März prognostiziert. Gemäß der Prognose schließen Fluggesellschaften in Lateinamerika das Jahr 2012 mit einem Plus von 0,4 Milliarden US-Dollar ab. Dies sind 0,3 Milliarden US-Dollar mehr als in der Prognose im März.
Für Fluggesellschaften im Nahen und Mittleren Osten weist die Vorhersage einen Gewinn von 0,4 Milliarden US-Dollar aus (Prognose März 2012: 0,5 Milliarden US-Dollar), für Airlines im asiatisch-pazifischen Raum von 2,0 Milliarden US-Dollar (Prognose im März 2012: 2,3 Milliarden US-Dollar). Fluggesellschaften in Afrika rechnen unverändert mit 0,1 Milliarden US-Dollar Verlust.
„Das wirtschaftliche Umfeld bleibt unbeständig. Vor einigen Monaten war die Krise beim Ölpreis das größte Risiko. Heute blicken alle Augen wieder auf Europa. Die Märkte rechnen nun mit einer Ausweitung der Schuldenkrise und wirtschaftlichen Schäden. Es gibt kaum Klarheit darüber, wie die europäischen Regierungen auf die Situation reagieren werden – abgesehen davon, weiter für Liquidität zu sorgen. Daher ist das Risiko eines weiteren Abwärtstrends bei den wirtschaftlichen Aussichten sehr realistisch. Die nächsten Monate bleiben kritisch und die Auswirkungen sind groß“, so Tyler weiter.
Der Luftfahrtverband IATA (International Air Transport Association) repräsentiert rund 240 Fluggesellschaften weltweit, die 84 Prozent des globalen Luftverkehrs ausmachen.