Anwohner greifen „Planfeststellungsfiktion“ des Flughafens Köln/Bonn an

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Neues Kapitel im Kampf gegen den Nachtflug: Vier Flughafenanwohner aus Lohmar und Siegburg haben beim Oberverwaltungsgericht in Münster am 23.1.2014 Klage gegen das Landesverkehrsministerium NRW eingereicht. Ihren Antrag an das Ministerium, ein Nachtflugverbot anzuordnen, hatte dieses zuvor abgelehnt. Begründung: Anwohner seien zur Duldung des Fluglärms verpflichtet, weil der Flughafen Köln/Bonn, der niemals ein Planfeststellungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung zu durchlaufen hatte, als planfestgestellt „gelte“. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine – rückwirkend 1998 geräuschlos durch den Bundestag gebrachte – sogenannte „Übergangsregelung“ in § 71 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz. Danach wird in den westdeutschen Bundesländern für Flugplätze eine Planfeststellung gesetzlich fingiert, wenn diese am Stichtag 31.12.1958 bereits „angelegt“ waren.

Genau dies ist nach Auffassung der Kläger beim Flughafen Köln/Bonn aber nicht der Fall. Die rund 150 Seiten umfassende Klageschrift des Berliner Fachanwaltes für Verwaltungsrecht Hans-Peter Vierhaus weist an Hand der luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsakten detailliert nach, dass die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gerade nicht erfüllt sind. Dies insbesondere deshalb, weil der bis zum Stichtag lediglich „vorläufig“ genehmigte Flugplatz am Stichtag noch nicht die damals geltenden genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Flugbetrieb erfüllte. Diese wurden nachweislich frühestens am 3.1.1959/16.3.1961 durch Bescheide des damals zuständigen Wirtschaftsministers geschaffen. Und damit also zeitlich nach dem entscheidenden Stichtag. Das Verkehrsministerium selbst spricht in einem Schreiben vom 24.6.2013 davon, der Flughafen sei erst „am 3.1.1959 luftrechtlich genehmigt worden“. Hinzu kommt: Die „große Bahn“ wurde 1959-61 nicht so errichtet, wie es seinerzeit im Ausbauplan vom 6.2.1958 – also vor dem Stichtag – niedergelegt war. Länge und Konfiguration wichen vielmehr von dem am 12.12.1958 vorläufig genehmigten Plan ab. Klägeranwalt Vierhaus, der beim Ministerium die Genehmigungsakten und im Parlamentsarchiv die kompletten Gesetzesmaterialien zu dem Überleitungsgesetz eingesehen hat, zieht in der Klage das Fazit, „dass der Verkehrsflughafen Köln/Bonn in seiner heutigen Konfiguration ein luftverkehrsrechtlicher Schwarzbau ist“.

Die „große Bahn“ und die diversen späteren Vorfelderweiterungen werden – so die Kläger – von der Planfeststellungswirkung, selbst wenn sie eingetreten wäre, ohnehin nicht umfasst, da diese nur den status quo genehmigt. Die Geschichte des Flughafens Köln/Bonn – dies weisen die Kläger minutiös nach – ist indes die Geschichte seiner kontinuierlichen baulichen Erweiterung, und zwar sowohl land- als auch luftseitig, wie es im Luftverkehrsrechtsjargon heißt. Zu keinem Zeitpunkt der vergangenen 5 ½ Jahrzehnte wurden Anwohner und Öffentlichkeit beteiligt oder eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach der bis 1988 umzusetzenden UVP-Richtlinie der EU durchgeführt.

Über dem 3 Kilometer vom Rollfeld entfernten Wohnhaus einer der Klägerinnen in Lohmar-Süd wurden im 2-Monatszeitraum August/September 2013 nach schriftlicher Auskunft der Deutschen Flugsicherung in einem 1-Kilometer-Korridor insgesamt 9.001 Überflüge durchgeführt, davon rund 3.000 Überflüge nachts (22.00 – 6.00 Uhr). Das sind durchschnittlich 50 Überflüge pro Nacht. Die niedrigste Überflughöhe betrug laut DFS im Anflug einer B-767 800 Fuß, d.h. 243,8 m. Bei Messungen eines zertifizierten Messbüros im Zeitraum 16.-22.12.2013 auf dem Grundstück dieser Klägerin wurden nachts Maximalpegel von bis zu 85,6 dB(A) gemessen.

Ein weiterer Kläger ist ein 5 Monate alter Säugling, der mit seinen Eltern rund 5,5 km vom Rollfeld in Siegburg-Stallberg innerhalb der Tagschutzzone wohnt. Für ihn reklamiert die Klage ein „Recht auf gesundes Aufwachsen-Können“ und verweist auf neuere lärmmedizinische Studien, wonach gerade bei Kindern „eine hochsignifikante Beeinträchtigung geistiger Funktionen durch Fluglärm nachweisbar ist“. Diesen Erkenntnissen trügen die Lärmwerte des Fluglärmgesetzes nicht hinreichend Rechnung.

Die Klage der Anwohner wird von den Städten Siegburg und Lohmar im Rahmen des Vorgehens gegen den Nachtflugbetrieb am Flughafen Köln/Bonn unterstützt. Erforderlichenfalls wird eine höchst- und verfassungsgerichtliche Klärung herbeigeführt. Derzeit bereitet Klägeranwalt Vierhaus (gutachterlich begleitet durch den Berliner Europarechtler Christian Callies (FU Berlin)) im Auftrag der Städte Siegburg und Lohmar zudem eine Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Verletzung der UVP-Richtlinie durch das 11. ÄndG LuftVG von 1998 vor, das die Zulassung des Flughafens Köln/Bonn jeglicher UVP-Pflicht gezielt entzog.