Der Freistaat Sachsen hat heute erstmals in seiner Geschichte menschliche Gebeine aus einem Museum an Vertreter des Ursprungslandes zurückgegeben. Die Gebeine waren zwischen 1896 und 1902 in Hawai‘i aus Bestattungshöhlen geraubt und direkt an das Museum für Völkerkunde Dresden und an Arthur Baessler, einen Mäzen des Museums, weiterverkauft worden. Zwischen 1896 und 1904 wurden sie Bestandteil der anthropologischen Sammlung des Museums für Völkerkunde Dresden, das seit 2010 zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) gehört.
Als diese menschlichen Gebeine vor über hundert Jahren gegen den Willen der Herkunftsgesellschaften aus ihren Ruhestätten entnommen wurden, um sie zu sammeln, wurden Verstorbene zu „Gegenständen“ transformiert. Jetzt wird dieser Prozess der Entmenschlichung schon im Museum selbst umgekehrt, d.h. die menschlichen Gebeine werden dadurch rehumanisiert, dass sie nicht mehr als Objekte mit Inventarnummern bezeichnet werden, sondern als verstorbene menschliche Individuen.
Diese Rehumanisierung, verbunden mit einer intensiven Provenienzforschung und einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit der SKD mit den Repräsentanten der Hui Mālama I Nā Kūpuna ’O Hawai’i Nei – Group caring for the ancestors of Hawai’i und des Office of Hawaiian Affairs machten die heutige Rückgabe möglich. Wie elementar diese Restitution für die Hawaiianer ist, zeigte sich auch daran, dass zur Feierstunde im Japanischen Palais in Dresden hochrangige Vertreter hawaiianischer Organisationen sowie der Economic Officer of the Embassy of the United States Robert Folley, nach Dresden gekommen sind. Von Seiten des Freistaates Sachsen nahmen die Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann und die Direktorin der drei Völkerkundemuseen im Verbund der SKD, Nanette Snoep, an der Feierstunde teil.
Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen: „Wir sind uns in Sachsen einig, dass „menschliche Gebeine“, wie auch immer sie zu uns gekommen sind, an diejenigen Volksgruppen zurückgegeben werden, aus denen sie stammen. Vor der Rückgabe steht eine solide Aufklärung der Sammlungsgeschichte, die mit einem sorgfältigen, rechtlichen Verfahren einhergehen muss. Mit der heute stattfindenden, für den Freistaat Sachsen ersten Rückgabe von menschlichen Gebeinen nach Hawai‘i wird ein unrühmliches Kapitel beendet und gleichzeitig eine neue Seite aufgeschlagen im Umgang mit in Museen befindlichen menschlichen Gebeinen: Mit Respekt und unter Anerkennung und Würdigung der kulturellen und religiösen Traditionen des Herkunftslandes werden die bisher als „Objekte“ betrachteten menschlichen Gebeine rehumanisiert und sie erhalten die ihnen innewohnende Individualität und menschliche Würde zurück.“
Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ordnet die heutige Rückgabe in die aktuellen Diskussionen ein und sagt: „Ethnologische Museen weltweit rücken immer mehr in den Fokus kritischer Diskussionen. Die Debatte zu Fragen der Provenienz „ethnographischer Objekte“, die im kolonialen Kontext erworben oder geraubt wurden, wie auch zur Restitution menschlicher Gebeine an die Nachfahren der Verstorbenen wird äußerst engagiert geführt. Diese Debatte stagniert jedoch oft auf der Ebene der politischen Positionierung und lässt produktive Konsequenzen vermissen. Restitution im Bereich der ethnologischen Museen wird oft als ein individueller und finaler Akt gesehen, als ein Schlusspunkt, der sogar das Überleben der Sammlungen und der Forschung eines Museums bedrohen könnte. Wir sollten es im Gegenteil als Chance betrachten, wenn menschliche Gebeine wieder in ihren kulturellen Kontext zurückgegeben werden. Auf diese Weise öffnen sich auch Türen für Kooperationen, gemeinsame Forschungsvorhaben und kulturelle Zusammenarbeit.“
Nanette Snoep, Direktorin des Museums für Völkerkunde, Dresden, Grassi Museum für Völkerkunde, Leipzig, Völkerkundemuseum, Herrnhut: „Wir haben heute die Gebeine von Vorfahren an Hawai’i zurückgegeben. Sie hatten eine Familie und ihre Lebensgeschichte machte sie zu Opfern im Namen von Wissenschaft, Kolonialismus und ungleichen Machtverhältnissen. Diese Verstorbenen wurden gegen den Willen der Herkunftsgesellschaften nach Europa gebracht. Die Leere, die dadurch entstanden ist, hat schmerzliche und unheilbare Lücken hinterlassen: emotional, religiös, spirituell und historisch. Die Trauer der Hinterbliebenen hat sich über Generationen fortgesetzt. Restitution ist ein Weg für Heilung und Gerechtigkeit. Für die Iwi Kupuna, die Gebeine der Vorfahren, beginnt heute endlich ihre Reise nach Hause.“
Quelle: Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Bild: Staatliche Kunstsammlungen Dresden