Trotz mehrfacher offensiver und öffentlicher Darstellung der drohenden Gefahr für viele mittelständische Betriebe und zehntausende von Arbeitsplätzen weicht die deutsche Finanzverwaltung bisher nicht von ihrer Haltung ab: Der Einkauf von Hotelübernachtungen deutscher Veranstalter soll mit Gewerbesteuer belastet werden – und zwar rückwirkend ab dem Jahr 2008! Der Fiskus riskiert damit sehenden Auges die Existenz von vielen mittelständischen Betrieben – und somit Steuereinnahmen – und stellt die von über 30 Millionen deutschen Urlaubern jährlich gebuchte Veranstalterreise in Frage. Darauf macht der Deutsche ReiseVerband (DRV) in der neuesten Ausgabe seines Informationsdienstes für Entscheider in Politik und Wirtschaft – den DRV-Politikthemen – aufmerksam. Die Ausgabe 3-2013 ist zur 63. DRV-Jahrestagung am heutigen 14. November erschienen. Dieses Thema ist wegen seiner Brisanz nun auch von der Tourismusindustrie in die aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen für die Regierungsbildung eingebracht worden.
Denn in diesem Thema steckt enormer Zündstoff für die deutsche Reisebranche und deren Beschäftigte: „Die Existenz gerade von mittelständischen Reiseveranstaltern und damit zehntausender Arbeitsplätze steht auf dem Spiel“, verdeutlicht DRV-Präsident Jürgen Büchy die Tragweite dieser neuen Auslegung des Gewerbesteuergesetzes durch die deutschen Finanzämter. Die Finanzverwaltung ist der Auffassung, dass auf Zahlungen von Reiseveranstaltern für den Einkauf der Unterbringungsleistung (Hotelübernachtungen) Gewerbesteuer entrichtet werden müsse. Durch eine Änderung des Gewerbesteuergesetzes im Jahr 2008 fällt u. a. auch unbewegliches Anlagevermögen unter die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung. Dies betrifft inländische Betriebsgebäude, die gemietet, gepachtet oder geleast werden.
Die Gesetzesänderung wird von der Finanzverwaltung aber ergänzend so ausgelegt, dass auch die Zahlungen für die Hotelkontingente, die Reiseveranstalter bei Hoteliers weltweit einkaufen, um sie mit anderen Leistungen an ihre Kunden als Pauschalreisen zu verkaufen, bei der Berechnung ihrer Gewerbesteuerzahlung hinzugerechnet werden müssen. Betroffen ist überdies das Event- und Paketreisegeschäft (dies sind Großhändler, die aus touristischen Leistungen und Einzelbausteinen für Bus- und Gruppenreiseunternehmen Reise-Arrangements bündeln). Bei all diesen Unternehmen geht der Fiskus davon aus, dass der Hoteleinkauf (= Wareneinsatz, also Umlaufvermögen) als „fiktives Anlagevermögen“ im Inland zu qualifizieren sei.
„Diese Position ist aus steuerrechtlicher und wettbewerbspolitischer Sicht inakzeptabel“, protestiert DRV-Präsident Büchy. Insbesondere bestehen verfassungsrechtliche Zweifel einer drohenden Übermaßbesteuerung von teils mehr als 100 Prozent. Zudem steht dieser Gewerbesteuerhinzurechnung, die massive negative Auswirkungen ausschließlich für die deutsche Tourismusindustrie nach sich zieht, eine Vielzahl steuersystematischer Gründe entgegen, da sie nur den inländischen Gewerbebetrieb (z. B. ein Hotel), nicht aber Reiseveranstalter und ihrem internationalen Handel mit Reiseleistungen erfassen darf. Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung führt zu einer Wettbewerbsverzerrung und benachteiligt die deutsche Reisebranche gegenüber der internationalen Tourismusindustrie gravierend. Den meist mittelständischen Unternehmen drohen millionenschwere Nachzahlungen pro Jahr, denn die Regelungen sollen rückwirkend bis 2008 gelten. Insgesamt könnten sich für die Branche die Steuer-Mehraufwendungen der zurückliegenden Jahre auf rund 1,4 Milliarden Euro summieren. „Damit steht die Existenz ganzer Unternehmen auf dem Spiel“, verdeutlich DRV-Präsident Büchy. Besonders belastend ist auch der gewerbesteuerliche Kaskadeneffekt, der jeden Hoteleinkauf in der Leistungskette vom ausländischen Hotel über einen Paketer bis hin zum finalen Reiseveranstalter erfasst. Eine zusätzliche Wettbewerbsbenachteiligung der deutschen Reiseveranstalter entsteht zudem dadurch, dass nationale Reisemittler – wie große Onlineportale – von dieser Regelung nicht betroffen sind.
Zusammen mit den Dachverbänden BTW (Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft) und BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) sowie den Internationalen Verband der Paketer (VPR) führt der DRV derzeit Gespräche auf politscher Ebene, um die Finanzverwaltung über die dramatischen Folgen ihres Handelns aufzuklären und somit Schaden von der Branche abzuwenden. Aktiv ist der Branchenverband in dieser Angelegenheit bereits seit längerem und hat seit über zwei Jahren unterschiedlichste Schritte eingeleitet: In mehreren Schreiben und zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Finanzverwaltung, der Länderfinanzministerien sowie des Bundesfinanzministeriums (BMF) hat der DRV die überzeugenden Argumente der deutschen Tourismusbranche vorgetragen. Gleichwohl zeigt sich die Steuerverwaltung weiterhin hartnäckig, leider ohne ihre Position mit nachvollziehbaren Gegenargumenten zu belegen.