Der Deutsche Bundestag wird die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni voraussichtlich abschließend beraten. Die zweite und dritte Lesung des Reiserechtsänderungsgesetzes steht auf die Tagesordnung der Plenarsitzung. Der Deutsche ReiseVerband (DRV) fragte Prof. Dr. Ansgar Staudinger von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht nach seiner Einschätzung zu den neuen Regelungen.
DRV: Viele Reisebüros haben Angst, nach Inkrafttreten der neuen Regelungen zum Reisevertrieb in die Veranstalterhaftung zu geraten. Wie groß ist Ihres Erachtens diese Gefahr?
Staudinger: Schon nach dem derzeit geltenden Recht besteht gerade beim Vertrieb von Bausteinreisen die Gefahr, als Veranstalter zu gelten. Dies haben Reisebüros oftmals nicht erkannt. Die Gefahr mag durch die Kategorie der verbundenen Reiseleistungen demnächst steigen. Allerdings muss man genau hinsehen, unter welchen Voraussetzungen überhaupt die Fallgruppe des Vertriebs von verbundenen Reiseleistungen vorliegt. Hier gibt es eine ganze Reihe von Einschränkungen.
DRV: Inwiefern führt das neue Pauschalreiserecht zu einer finanziellen oder bürokratischen Mehrbelastung der Reisebüros?
Staudinger: Die Begründung im Regierungsentwurf geht auf diese Fragen ein. Gewiss erfordert die Reform beispielsweise Veränderungen bei Internetauftritten von Reisebüros. Auch erscheint es sinnvoll, sich einer Schulung zu unterziehen. Dies löst einmalige Kosten aus. Den Kunden Informationen zu gewähren und Informationsblätter auszuhändigen, bedeutet sicherlich bürokratischen Mehraufwand. Allerdings erlaubt es dem Reisebüro, später in einem Gerichtsverfahren den Nachweis zu führen, dem Kunden die rechtlichen Konsequenzen genau vor Augen geführt zu haben. Demzufolge bewirken solche Formulare mehr Rechtsklarheit und haben eben auch einen Entlastungseffekt für den Vertrieb.
DRV: Erwarten Sie Strukturveränderungen in der deutschen Reisebürolandschaft?
Staudinger: Dies ist Kaffeesatzleserei, eine Kunst, die scheinbar andere besser beherrschen. Ich sehe die Reform des Pauschalreiserechts jedenfalls nicht als „den“ maßgeblichen Auslöser für mögliche Veränderungen. Viel relevanter dürfte sein, wie sich das Buchungsverhalten älterer und jüngerer Generationen wandelt.
DRV: Könnte man die EU-Pauschalreiserichtlinie nach Brüssel „zurückschicken“? Welche Konsequenzen hätte das?
Staudinger: Eine Richtlinie lässt sich nicht auf dem Postwege zurückschicken. Deutschland hat im Ministerrat für die Richtlinie gestimmt, und es gab den Segen des Europäischen Parlaments. Der Rechtsakt sieht allerdings vor, dass die Praxistauglichkeit seiner Regeln evaluiert wird. Hieraus mag sich ergeben, dass die Richtlinie in der Zukunft einer Überarbeitung unterzogen wird. Sollte Deutschland indes den Rechtsakt nicht umsetzen, drohen Vertragsverletzungsverfahren, Strafzahlungen und die Staatshaftung in Millionenhöhe.
DRV: Wie sollten sich Reisebüros auf die neuen Regelungen vorbereiten?
Staudinger: Es steht zu erwarten, dass das neue Recht ein Jahr, bevor es zur Anwendung gelangt, greifbar ist, nämlich im Bundesgesetzblatt steht. Es bleibt dem Vertrieb also ausreichend Zeit, die zukünftigen Regeln kennenzulernen, zu verinnerlichen und sich mit dem Ablauf etwa von Beratungsgespräch und Informationserteilung vertraut zu machen. Sicherlich mag das dem einen oder anderen im Selbststudium gelingen. Überzeugender dürfte es allerdings sein, Schulungen zu nutzen. Denkbar ist es ebenso, dass einzelne „Vorgesetze“ derartige Kurse besuchen, die dann ihrerseits hausintern das Wissen an ihre Mitarbeiter weitergeben.
DRV: Wer profitiert von den Neuregelungen des Reiserechts? Sind es insbesondere große Konzernveranstalter?
Staudinger: Dies erscheint zu kurz gesprungen. Die Richtlinie hat sicherlich zunächst einmal den Kundenschutz im Blick. Dann geht es um vergleichbare Spielregeln im Binnenmarkt, für Veranstalter wie Vermittler. Daher ist die Richtlinie ja auch vollharmonisierend ausgestaltet.
DRV: Welche Vorteile des neuen Reiserechts sehen Sie?
Staudinger: Zunächst sehe ich den Vorteil darin, dass die Spielregeln innerhalb der EU weithin vereinheitlicht werden. Da gerade Reisen ein grenzüberschreitendes Produkt sind, liegt der Mehrwert in den vergleichbaren Produktionsstandards. Zudem erweist sich das neue Reiserecht als moderner, indem es die technische Entwicklung, die vielfältige Produktlandschaft und das veränderte Buchungsverhalten aufgreift. Es gibt eben nicht mehr nur das Pauschalreisepaket von der Stange, das der Kunde aus dem Katalog im Reisebüro um die Ecke bucht. Das neue Recht zielt zudem darauf ab, vergleichbare Spielregeln für den klassischen Vertrieb wie virtuelle Buchungsplattformen zu schaffen. Die Reform führt aber auch dazu, auf der einen Seite Hürden für die Kunden abzubauen, also ihre Interessen zu stärken, auf der anderen Seite aber gleichermaßen zu einem Rückbau von überzogenem Verbraucherschutz. Zwei Stichworte sollen in diesem Zusammenhang genügen: Es wird demnächst etwa keine Ausschlussfrist mehr für die Anspruchsanmeldung geben, dafür entfällt das pauschalreiserechtliche Korsett bei Einzelleistungen.
DRV: Bringt die Richtlinie mehr Transparenz im Sinne einer klaren definitorischen Abgrenzung der Rechtsbegriffe „Pauschalreise“ und „verbundene Reiseleistung“? Oder bekommen wir es hier mit einer Grauzone zu tun?
Staudinger: Nach meinem Dafürhalten lässt sich zukünftig klarer anhand des Gesetzes und seiner Begründung ablesen, wann eine Pauschalreise vorliegt und wann nicht. Die Definitionen und Erläuterungen helfen ebenso bei der Klärung, wann verbundene Reiseleistungen gegeben sind. Ein Gesetz muss aber abstrakt-generell formuliert sein, um eine unendliche Vielzahl von Sachverhaltsgestaltungen zu erfassen. Daher haben Gesetze leider immer eine gewisse Abstraktionshöhe. Folge ist, dass Zweifelsfälle und Abgrenzungsschwierigkeiten verbleiben. Nur zur Klarstellung: Derlei Zweifelsfragen wirft aber schon heute das geltende Recht immer und immer wieder auf. Im Vergleich zur augenblicklichen Rechtslage bin ich der Ansicht, dass das neue Regelwerk zwar keine vollständige Klarheit schafft, aber dennoch für mehr Transparenz sorgen wird.
Quelle: DRV Deutscher ReiseVerband e.V.
Bild: Prof. Dr. Ansgar Staudinger