Sorge um wertvolle Wandmalereien auf der Insel Reichenau

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Reichenau. In der Sixtinischen Kapelle im Vatikan und in der Arenakapelle in Padua werden die Besucherströme zum Schutz der wertvollen Wandmalereien schon seit langem gelenkt. Nun greifen Denkmalschützer auch auf der Bodenseeinsel Reichenau zu diesem Mittel. Der Grund: Das Raumklima in der vorromanischen Kirche St. Georg, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, hat sich nicht zuletzt durch Touristenströme derart verschlechtert, dass die berühmten, monumentalen Fresken gefährdet sind. Individualtouristen müssen jetzt erst mal draußen bleiben.

«Das Problem ist so massiv und bedrohlich, dass man nicht einfach zusehen kann», sagt Andreas Menrad, Leiter des Fachgebiets Restaurierung in der Abteilung für Bau- und Kunstdenkmäler beim Landesamt für Denkmalpflege. Auf Empfehlung der Behörde wurde deshalb beschlossen, bis 31. August eine Besichtigung der kleinen, aber kunsthistorisch herausragenden Kirche in Reichenau-Oberzell nur noch im Rahmen von täglich zwei Führungen zu erlauben. Seit 1. Juli gilt die Einschränkung. Denn vor allem in der Sommersaison ist die Insel
Reichenau ein beliebtes Ausflugsziel.

«Die Leute bringen Dreck mit rein», erklärt Menrad. Schließlich würden sich viele Touristen die Insel wandernd erschließen. Der Staub werde dann durch herumlaufende Kirchenbesucher aufgewirbelt und setze sich auf den Fresken ab, wo er auf leicht feuchtem Untergrund einen idealen Nährboden für Schimmelpilze bildet. Auch das ständige Öffnen und Schließen der Türe könne sich je nach Witterung schädlich auswirken. Hinzu kommen mikrobielle Belastungen und – wofür der Mensch allerdings nichts kann – das «nicht gerade ideale» Bodenseeklima: alles Gift für die alten Malereien.

Seit Ende 2000 gehört die ehemalige Klosterinsel Reichenau mit ihren insgesamt drei mittelalterlichen Kirchen zum UNESCO-Welterbe.
Die spätkarolingische Basilika St. Georg, die um 900 nach Christus errichtet wurde und damit zu den ältesten Georgskirchen in Europa zählt, sticht dabei mit ihren gut erhaltenen, mehr als 1000 Jahre alten Wandmalereien, besonders hervor. Auf ihnen sind überwiegend Szenen aus dem Leben Jesu dargestellt – von der Heilung des
Besessenen von Gerasa bis zur Auferweckung des Lazarus. Die Malereien gelten als einzigartiges Beispiel einer vollständigen Kirchenschiffausmalung nördlich der Alpen aus der Zeit vor 1000.

In den 1980er Jahren waren die Wandmalereien schon einmal von Schimmel und Bakterien befallen und mussten gereinigt werden. Im Jahr 2003 wurden sie erneut behandelt. Seit den 1990er Jahren erfassen Denkmalpfleger die Klimawerte im Innenraum. Inzwischen gibt es eine
Klimaschleuse in der Vorhalle und Sensoren im Kirchenschiff und an der Außenmauer. Je nach Messergebnissen öffnen oder schließen sich Klappen für den Luftaustausch. «Das hat gewisse Verbesserungen erbracht, reicht aber nicht aus», bilanziert Menrad. Der Schimmel kehrte zurück.

Michael Petzet, Präsident des deutschen Nationalkomitees des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS) kennt das Problem der
Übernutzung von Kulturdenkmälern. Nicht selten seien davon gerade Welterbestätten betroffen. Das UNESCO-Siegel sei schließlich geradezu ein «Label» für internationalen Tourismus geworden. «Nichts gegen Touristen, aber der Massentourismus kann schädlich sein», sagt Petzet. Lösungen wie die «gesteuerte Besucherlenkung» in St. Georg befürwortet der Experte. «Man muss die Touristenströme lenken.»

In St. Georg haben die Denkmalpfleger inzwischen die Universität Stuttgart eingeschaltet. Mitarbeiter der Materialprüfungsanstalt (MPA) sollen nun umfangreiche Messungen zu Klima, Feinstaubbelastung und mikrobieller Belastung vornehmen. Ob die Kirche Anfang September wieder frei zugänglich ist, wird wohl ein Stück weit auch von den Ergebnissen abhängen. Wer St. Georg bis dahin dennoch individuell besichtigen will, kann dies zumindest im Internet tun. In der virtuellen Welt von «Second Life» hat ein Illustrator die Kirche im Auftrag des Erzbistums Freiburg «nachgebaut».