Klimawandel könnte Viagra des lendenlahmen Sommertourismus sein!

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Anlässlich der ersten Auflage zum „Tourismusgipfel auf der Hohen Mut“ (Obergurgl, 2670 m) im Tiroler Ötztal diskutierten vier österreichische Chefredakteure und vier österreichweit bekannte Tourismusfachleute zum Thema: „Radikale Innovationen braucht das (Tourismus-)Land“.

Große Pioniertaten – etwa die kühne und weitblickende touristische Erschließung des Alpenraums – haben Österreich als weltweit gefragte Tourismusdestination positioniert. Welche Innovationen weisen heute Erfolg versprechend in die Zukunft der österreichischen Tourismuswirtschaft, die – mehr denn je – als eine der zentralen Lebensadern des Wirtschaftsstandortes gilt?

Einen spannenden Schlagabtausch über die Zukunft des Tourismus lieferten sich unter der Leitung von Frank Staud, Chefredakteur der Tiroler Tageszeitung, der auf Jamaika lebende erfolgreiche Auslandsösterreicher Prof. Heinz Simonitsch (leitete u.a. mit dem Half Moon eines der weltbesten Hotels und ist derzeit in Österreich mit dem Projekt *****Grand-Hotel in Lienz befasst), Richard Hauser (GF Biohotel Stanglwirt), Mag. Andreas Reiter (Leiter des ZTB Zukunftsbüros in Wien), Mag. Oliver Schwarz (GF Ötztal Tourismus), Mag. Christopher Norden (Chefredakteur Tourist Austria International), Christoph Sailer (Chefredakteur ORF Tirol) sowie Manfred Perterer (Chefredakteur Salzburger Nachrichten).

In den Alpen, so brachte es Zukunftsforscher Reiter in seinem Prolog zur Diskussion auf den Punkt, werde sich künftig „nur eine Handvoll Leuchttürme im internationalen Wettbewerb behaupten können – eine touristische Champions League des alpinen Tourismus“. Eine klare Segmentierung in Hot Spots und „Hidden Places“, in versteckte Orte, sowie immer stärker in „Green Resorts“ zerteile in Zukunft die touristische Gebirgslandschaft. Hier die Masse der Erlebnis-Touristen, dort kleine, hochwertige Nischenprodukte sowie nachhaltige, Klima zertifizierte Resorts, die den Werten der ökologisch sensiblen Gäste entsprechen. Die Aufmerksamkeits-Ökonomie des 21. Jahrhunderts verstärke auch im Tourismus die Entwicklung zu Lifestyle-Brands. Der Wettbewerbsdruck zwinge Alpen-Destinationen, sich offensiver mit dem Place-Making zu befassen, mit dem multisensuellen Auftritt ihrer Marke. „Denn Konsumenten suchen wie Trüffelschweine nach dem perfekten Angebot!“ Darüber hinaus müsse der Berg als dreidimensionaler Erlebnisraum provokant bespielt werden. Reiter: „Die Entwicklung alpiner Destinationen findet zwischen den beiden Polen hochdosierter Kick-Konsum und sinnliche Entschleunigung statt. Hier muss man sich klar positionieren, denn schon ein Sprichwort sagt: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein!“ Den Klimawandel bezeichnete Reiter als „Viagra des lendenlahmen Sommertourismus“, der Druck für Innovationen verschärfe sich.

An große Wachstumschancen rund um die Themen Gesundheit und Naturerlebnisse glaubt Simonitsch, der derzeit in Österreich das Projekt *****Grand-Hotel in Lienz betreibt. Authentizität und Ehrlichkeit sei die Basis, „zurück zur Natur“ eine Erfolgsformel. Gerade in Osttirol existiere eine Landschaft, die den Mythos Berg in den Mittelpunkt rücke. Neben hochentwickelten Tourismuszentren brauche es aber auch praktisch unberührte Regionen wie das Villgratental.

Schwarz wiederum zog Parallelen zu seiner beruflichen Vergangenheit als erfolgreicher Automobil-Manager. Jede Destination müsse sich künftig noch viel stärker über seine Qualitäten und seine Markenwerte positionieren, in diesem Sinne trete das Ötztal bereits heute als erfolgreiches Sortiment auf: „Dort das mit dem Aqua Dome perfekt umgesetzte Thermen- und Wellnessthema, hier Top-Quality-Skiing in den Ötztaler Skiregionen und an anderer Stelle eine Apres-Ski-Kultur“. Es wäre ein Irrtum zu glauben, jeder könne alles anbieten, denn der eine wolle einen einser BMW, der andere eben einen siebener BMW. Als ausgezeichnete Innovation rückte Schwarz die „Waldklause“ in Längenfeld ins Rampenlicht, das jüngst vom Magazion „GEO“ zum besten Öko-Hotel gekürt wurde. Dort würde gelebt, was auch angeboten würde. Die Gäste würden diese Angebote immer mehr schätzen. Bereits im 3. Betriebsjahr habe man eine ganzjährige Auslastung von über 85% erreicht.

Sailer betonte die Rolle der Berge als Kraftorte. „Die Klaviatur der Sehnsüchte“ könne man aber besser bespielen, viel mehr gute Inszenierungen seien gefordert. Unterstützung erhielt Sailer von Gotthard Scheiber, Obmann der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Tirol: „Es gehe um unvergessliche Momente am Berg. Wenn mich ein Bergführer über den Gletscher führt, soll er mich in eine Gletscherspalte abseilen.“

Hauser räumte im Zuge der hitzigen Diskussion mit dem Vorwurf auf, dass alles was mit Tourismus zu tun habe Simulation und Inszenierung sei. „Im Stanglwirt in Going stehen die Kühe schon seit 1609 am selben Platz und geben Milch. Wir stellen unseren Gästen lediglich einen natürlichen Ablauf vor, wir machen einen Vorgang sichtbar und schaffen damit einen Mehrwert für ein Produkt. Hauser plädierte in diesem Zusammenhang für mehr Selbstbewusstsein: „Das was wir authentisch tun und leben, das können wir ruhig auch herzeigen!“ Generell sei es etwas sehr Positives, Dienstleister im Alpenraum sein zu dürfen und Gästen aus aller Welt fehlende Werte, etwa ein Heimat- und damit auch Glücksgefühl vermitteln zu können. Das touristische Handeln müsse viel stärker als bisher auch unter dem Aspekt der Wertschöpfung bewertet werden – in finanzieller wie auch in menschlicher Hinsicht. Nicht eine Seite, jeder müsse davon profitieren.

Norden betonte ebenfalls, dass die ewige Kritik an der Inszenierung fehl am Platz sei. Es gehe schlussendlich um ehrliche Produkte und um ein authentisches Erleben. Dass etwa im Biohotel Stanglwirt das Thema Wasser so erfolgreich inszeniert wurde, sei eine Innovation, für die Gäste Wertschätzung hätten. Gut und notwendig seien Innovationen immer dort, wo auch die Nachhaltigkeit garantiert sei. Norden verwies etwa auf das neue Hotelkonzept der „Cube-Hotels“, die sich immer stärker und erfolgreich im Ganzjahrestourismus etablierten.

Mit einer Innovationsidee der anderen Art ließ Perterer aufhorchen. Österreich sei bekannt als perfekter Ausbildungsort für Touristiker, vielfach arbeite die österreichische Elite aber in aller Welt, während man in heimischen Betrieben oft als Gast kaum einen Einheimischen zu Gesicht bekomme. Eine radikale Innovation, so Perterer, die dem touristischen Erleben in Österreich wieder mehr Identität und Authentizität gäbe, wäre demnach eine Rückholaktion unter dem Titel „Come back home!“

Veranstaltet wurde der „1. Tourismusgipfel auf der Hohen Mut 2008“ in Obergurgl von Ötztal Tourismus und der Tiroler Agentur pro.media kommunikation. Kooperationspartner der Premiere: Hohe Mut Alm & Bahn/Familie Falkner, KNEISSL und APA-OTS Tourismuspresse.