Schweiz – Viel Nebel und wenig Sonne am Gotthard

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Der Projektleiter San Gottardo, Marc Tischhauser, zeigte sich am 14.09.2011 bei einer Pressevorstellung in Piotta (Alto Ticcino) recht zurückhaltend, als er nach den Zukunftsaussichten des Projekts gefragt wurde. Schlichtweg konnte er keine neuen Projekte nennen und ent­täuschte damit die Journalisten, die auch gekommen waren, um den Fortgang des Projekts medientechnisch zu begleiten. Er verwies lediglich auf die bereits bekannten und zum Teil abgeschlossenen Initiativen, etwa den 4-Quellen-Weg und das Projekt Alpmobil (näheres dazu weiter unten). Die Elektroautos im Projekt Alpmobil sind jetzt in allen vier Kantonen zu mieten, allerdings gibt es dabei Schwierigkeiten, weil sich die Anzahl der Fahrzeuge nicht erhöht hat. Ob es für die nächste Saison mehr Fahrzeuge gibt, war nicht zu erfah­ren.

Etwas mehr Hoffnung gab am 23. September die 4. Gotthard-Konferenz in Sedrun (Surselva, Graubünden). Bei diesen Konferenzen fragen die verantwortlichen Kantonspolitiker jährlich, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Fazit der jüngsten Konferenz: „Das kantonsüber­grei­fende Regionalentwicklungsprojekt San Gottardo nähert sich dem Ende seiner ersten Phase (2008-2011). Die bessere Vernetzung der Akteure und die stärkere überkanto­nale Zusammen­arbeit zwischen Ämtern, Regionalverbänden, Gemeinden und insbesondere der Tourismusor­ganisa­tionen gehören zu den erfreulichen Resultaten“, so die Kantonsregierungen von Uri, Graubünden, Wallis und Tessin. Durchaus selbstkritisch ergänzen sie: „Demgegenüber stehen die noch unzureichende Information, der ungenügende Einbezug der Basis sowie die Tatsa­che, dass mit den bis anhin gesprochenen Fördermitteln, die gesteckten Ziele nicht zu errei­chen und Inves­titionen und damit Anschubfinanzierungen schwierig zu realisieren waren.“ Auf den außenstehenden Betrachter wirkt das so, als hätten die Verantwortlichen die gute Idee, den Gotthard als Kristallisationspunkt und Mythos zu einer regionalen Kooperation und Vermarktung zu nutzen, mit viel zu wenig Geld, unzureichenden Strukturen und zuwenig politischem Willen vernachlässigt.

Vom „Projekt“ zum „Programm San Gottardo 2020“

Aus dem Progetto San Gottardo wollen die Verantwortlichen deshalb ein neues, mehrjähriges Programm machen. So haben die Regierungen der vier Gotthardkantone beschlossen, „das bisherige regionalpolitische Progetto San Gottardo ab 2012 als Programm San Gottardo 2020 mit verstärkten Mitteln fortzuführen.“ Zwei zusätzliche Mitarbeiter und „deutlich grössere Fördermitteln des Bundes und der vier Kantone“ sollen erfolgversprechen­den Projekten zum Durchbruch verhelfen. Zudem soll die Bevölkerung wesentlich besser in­formiert und involviert werden als bisher. Das entsprechende Umsetzungsprogramm San Gottardo 2012-2015 der sogenannten Neuen Regionalpolitik des Bundes (NRP) stoße bei den Gemeinden auf breite Zustimmung, so die Kantonsregierun­gen. Dies zeige sich insbesondere an der Tatsache, dass die Gemeinden, anders als zuvor, bereit seien, die Basisleistungen mitzufinanzieren. Über die genaue Mittelvergabe entscheidet das Wirtschaftsministerium des Bundes (SECO) gegen Ende Oktober. Es sieht bislang so aus, als würde die Schweizer Bundesregierung an „San Gottardo“ glauben – und deshalb wird es wohl auch neue Initiativen geben, schließlich muss das Geld ja für ir­gendetwas ausgegeben werden. So richtig durchgesetzt hat sich der gute und richtige Projektgedanke bei den Tou­rismusverantwortlichen in den einzelnen Regionen bisher aber kaum: Deutlich wird dies et­was bei Gesprächen mit Touristikern, wenn diese immer noch die eigenen Projekte in den Vor­der­grund stellen, statt sie richtigerweise mit San Gottardo zu vernetzen und unter der „Ober­einheit San Gottardo“ touristische Vielfalt anzubieten. Klarheit zum Projekt ist in naher Zukunft notwendig und erforderlich, will man Touristen in der Zukunft echte Orientierung bieten. Abwarten und zögern ist der guten Idee einer Dachmarke „San Gottardo“ kaum dien­lich. Und ohne ein starkes Zugpferd „San Gottardo“ werden einzelne Touristenbüros angesichts einer starken alpinen Konkurrenz wohl chancenlos sein.

Was ist San Gottardo?
„Progetto San Gottardo“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Kantone Uri, Tessin, Wallis und Graubünden. Die vier Kantone wollen gemeinsam das Gebiet um den Gotthard zu einem zu­sammenhängenden Lebens- und Wirtschaftsraum entwickeln. In einem Kreis von Flüelen bis Bellinzona und von Brig bis Flims soll ein Raum entstehen, der seiner Bevölkerung, seiner Wirtschaft und seinen Gästen eine attraktive Zukunft bietet. Damit ist „Regio San Gottardo“ das derzeit grösste und ehrgeizigste Projekt seiner Art in der Schweiz. Deshalb unterstützt auch der Bund dieses Programm im Rahmen seiner Neuen Regionalpolitik. Die vier Kantone haben eine Zukunftsstrategie erarbeitet, um das Gotthard-Gebiet zu entwickeln und zu ges­talten. Sie nehmen gemeinsam über geografische, politische, sprachliche und kulturelle Bar­rieren hinweg die Verantwortung für diesen neu entstehenden Raum wahr. Das macht  „Regio San Gottardo“ zu einem Pionierprojekt, das auch als Modell für die Entwicklung anderer Re­gionen dienen kann.
Der Ausgangspunkt für das Projekt ist, dass die Gotthard-Kantone ihre gemeinsamen Interes­sen entdeckten. Die vier Gebiete – das Urserental und Uri, die Leventina, das Riviera- und das Bleniotal im Tessin, die Surselva in Graubünden und das Goms im Wallis – sind alle struktur­schwache, alpine Zonen, die seit längerem unter Beschäftigungsrückgang und Abwanderung leiden. Sie sind alle in ihren Kantonen Randgebiete mit je für sich bescheidenen Perspektiven. Die vier Talschaften sind zwar durch Pässe verbunden und berühren sich am Gotthard. Aber sie sind zugleich voneinander abgesondert und alle talauswärts orientiert. Kooperationen über die Pässe und die Kantonsgrenzen hinaus gab es kaum.
Der neue Basistunnel am Gotthard wird in wenigen Jahren für das Gebiet neue Verhältnisse schaffen. Grosse Teile von Uri und des nördlichen Tessins werden künftig von den Fernzügen unterquert. Die bisherige Bergstrecke der Gotthardbahn wird weniger gut bedient, die Anbin­dung an die grossen Zentren und die Touristenströme wird schwieriger. Die Gebiete am Gott­hard müssen sich deshalb mit Blick auf die Eröffnung des Basistunnels auf eine neue Verkehrssituation einstellen und neue Ideen entwickeln, um nicht zur alpinen Einöde zu werden.
Die Aufforderung des Bundes, in grösseren geografischen und zeitlichen Dimensionen zu denken, war der Auslöser für die Kooperation der vier Kantone. Im Juli 2006 kamen sie zur ersten „Zukunftskonferenz“ auf dem Gotthardpass zusammen und unterzeichneten kurz dar­auf ein „Memorandum of Understanding“ zur Gründung des „Projekts Raum- und Regional­entwicklung Gotthard“ (PREGO). Die Kantone riefen eine gemeinsame Projektorganisation ins Leben, es folgten weitere Konferenzen und Studien. Und Ende 2006 lag das Raumkonzept Gotthard vor. Dabei nahmen die vier Kantone erstmals das Gotthard-Gebiet als Ganzes in den Blick, wiesen sein Potenzial aus und legten Strategien und Projekte für die Entwicklung des gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsraums dar. Die vier Kantone hatten inzwischen er­kannt, dass die Zukunft des Gebiets in der kantonsübergreifenden Zusammenarbeit liegt. Uri, Tessin, Wallis und Graubünden stehen nun am Gotthard nicht mehr Rücken an Rücken, son­dern Schulter an Schulter. Im Juli 2007 wurde, jetzt unter dem neuen Namen „San Gottardo“, das Umsetzungsprogramm für die Jahre 2008 bis 2011 beim Bund eingereicht.
Der Gotthard ist ein Natur- und Kulturraum erster Güte, mit einer Vielfalt, die in dieser Ver­dichtung nirgendwo sonst zu finden ist. Er ist die Wasser- und Klimascheide des Kontinents, er ist Schwelle und Begegnungszone verschiedener Kulturen, er ist ein Raum der Geschichte und der Mythen. Das macht den Gotthard-Raum zu einem einzigartigen, signifikanten Ort auf der Karte Europas. Zudem bietet er eine Vielfalt intakter Naturschönheiten, wuchtige, ursprüngliche, einmalige Landschaften und gleichzeitig Kulturlandschaften, Verkehrswege, Passstrassen und Bauwerke sowie eine reiche Palette von touristischen Möglichkeiten.
Die einzelnen Talschaften können jede für sich nur einen Teil der Vielfalt bieten und schöp­fen nicht aus, was für das Gebiet insgesamt möglich wäre. Und  jede für sich allein erzielt auch nicht die Aufmerksamkeit, die im Verbund erreichbar wäre. „San Gottardo“ will das Potenzial des ganzen Gebiets vergegenwärtigen, die vielfältigen Initiativen bündeln und über die bisherigen Kantonsgrenzen hinaus erschliessen. Es gilt, den lokalen Anbietern und den Gästen zu zeigen: Der Gotthard-Raum als Ganzes ist mehr als die Summe seiner Teile. Im Zentrum steht deshalb der schrittweise Aufbau übergreifender, touristischer Strukturen und vernetzter Angebote. So sollen Beschäftigung und Wertschöpfung in der Region wachsen und den Gotthard-Raum zur blühenden Oase im Alpenraum machen. Das Fernziel des Projekts ist, den Gotthard-Raum unter der international zugkräftigen Dachmarke „Gotthard“ und mit einer eigenen Vermarktungsorganisation zu einem unverkennbaren Anziehungspunkt zu entwi­ckeln, zu einer einzigartigen Schweizer Destination.

Ziele:
Bis ins Jahr 2020 ist San Gottardo: eine einmalige attraktive alpine Kulturlandschaft zum Le­ben und Erleben. Ökologisch, ökonomisch und gesellschaftlich nachhaltig, ein ergänzender Ausgleichsraum zu den Ballungszentren und in erster Linie ein touristischer Attraktionspunkt im Herzen der Schweiz.
Mehrumsätze, zusätzliche Beschäftigung im Tourismus.
Regionale Angebote werden in Zukunft vermehrt überregional verknüpft und gemeinsam weiterentwickelt, damit der Gast die ganze Vielfalt der Natur, Kultur und Aktivitäten grenzüberschreitend erleben kann.

Zusätzliche Beschäftigung in vor- und nachgelagerten Bereichen.
Bevölkerungszahl halten und in Zentren erhöhen.
Räumliche, ökologische und sozio-ökonomische Qualitäten als wichtige Voraussetzung für die touristische Wertschöpfung erhalten und weiterentwickeln.

Was muss dazu getan werden:
Rahmenbedingungen schaffen
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Der Tourismus spielt eine entscheidende Rolle.
Akteure zusammenbringen und koordinieren durch Bündelung der Angebote und Produkte.

Eine gemeinsame Plattform sowie eine gemeinsame Buchungsplattform schaffen: www.gottardo.ch

Was ist bisher geschehen ?

Der Vier Quellen Weg.
Das Gotthardmassiv bietet die Möglichkeit für ein europaweit einmaliges Projekt:
In wenigen Tagen können Erwachsene und Kinder auf gut ausgebauten Wanderwegen im Hochgebirge zu den Quellen bedeutender Flüsse gelangen, die in verschiedene Richtungen nach Italien, Deutschland und Frankreich fliessen: zum Tomasee als Quelle des Rheins; zum Lucendropass als Quelle der Reuss, welche sich später wieder mit dem Rhein vereinigt; zum Nufenenpass, der Quelle des Ticino, welcher in den Po fliesst, und schliesslich zum Rhone­gletscher als Ausgangspunkt der Rhone. Diese vier Quellen können in einzelnen Tageswande­rungen erreicht werden: An den Ausgangs- und Endpunkten der Wanderungen befinden sich jeweils Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. Es bietet sich aber auch die Möglichkeit zu einer fünftägigen Wanderung mit guten Übernachtungsgelegenheiten. Der Sommer 2011 sah die weitgehende Fertigstellung der Wegabschnitte und am 1. August 2011 eine Teileröffnung. Im Sommer 2012 soll die Eröffnung des gesamten Weges gefeiert werden. In der Überlegung befindet sich eine weitere Erschließung des Weges im nördlichen Teil zu einem kompletten Rundwanderweg.

Elektrisch über die Pässe: Alpmove mit Alpmobil: Passfahrt als Abenteuer.
Das Projekt bietet Lösungen für eine nachhaltige individuelle Mobilität im Tourismus- und Freizeitverkehr rund um den Gotthard an, CO2 frei mit erneuerbaren Energien, vor Ort produ­ziert. Zahlen dazu:

60 Autos
3 Monate
51 % Auslastung
2800 Vermiettage
25000 km
45 Tonnen CO2 eingespart.
Ausgiebig getestet: – Rekorddistanz: 200 km – Grimsel, Furka, Susten, Brünig.