Mahnwache gegen Neonazis

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Faßberg/Hannover. Anna Jander bewohnt ein hübsches Anwesen in der grünen Heide im Landkreis Celle. Seit knapp zwei Wochen hat sie neue Nachbarn. Nebenan haben mehrere Neonazis das «Landhotel Gerhus» besetzt. Sie dienen als «Bewachungspersonal» des Hamburger Anwalts und NPD-Funktionärs Jürgen Rieger, der die leerstehende Immobilie in der Gemeinde Faßberg gepachtet hat und in ein Schulungszentrum für Rechtsextremisten umwandeln will. Um Konfrontationen mit Anwohnern und linken Gegnern zu verhindern, bewachen Polizisten das besetzte Anwesen rund um die Uhr.

Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die braunen Hausbesetzer hält sich bislang in Grenzen. Erst seit Sonntag kommen auf Initiative von Jander vor dem Landhaus jeden Nachmittag einige Bürger aus Faßberg und Umgebung für eine Stunde zu einer Mahnwache gegen Riegers Projekt zusammen. «Wir Nachbarn haben Angst», sagt Jander. «Das sind gefährliche, brutale Menschen.»

Anfangs nahmen an der Mahnwache gut 20 Teilnehmer teil, dann 50, und zum Wochenende könnten es laut Polizei einige Hundert sein, die
sich vor dem Gehöft an der Heide-Landstraße versammeln. «Haut ab!!» und «Bunt statt Braun» steht auf ihren Plakaten. Auf den am Hotel angebrachten Transparenten der Neonazis prangen Parolen wie «Die Presse lügt».

Die Besetzer – unter ihnen Mitglieder der zunehmend aktiveren neonazistischen Kameradschaft 73 Celle – lassen sich von den Protesten der Anwohner nicht beeindrucken. Die Kameradschaft spricht im Internet von «belästigenden Besuchen durch Pressevertreter und Antifa-Späher». Vor dem Hotel wird auf Einschüchterung gesetzt. Kaum hat eine Mahnwache begonnen, kommt ein junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren, Sonnenbrille und Tarnjacke aus dem Landhotel und macht Fotos von den Demonstranten und Journalisten. Auf den Zuruf von Jander, dass das Abfotografieren von Teilnehmern der Mahnwache verboten sei, entgegnet der Mann: «Ein Scheißdreck ist verboten.»

Proteste gegen Riegers Immobilienprojekte gibt es in Niedersachsen regelmäßig. Immer wieder versucht der Jurist und Holocaust-Leugner, Anwesen zu erwerben. Neu ist allerdings, dass er und seine Gesinnungsgenossen sich mit Gewalt Zugang zu Gebäuden verschaffen.
Beim Landhotel Gerhus bohrten sie kurzerhand die Schlösser auf. «Das ist schon eine neue Qualität, wenn Rieger jetzt seine Leute einfach in Häuser reinschickt, die ihn interessieren», sagt Günter Heiß, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Gewalt würden die Besatzer wohl auch anwenden, um ihr Areal zu verteidigen. Zum «Bewachungspersonal» in Faßberg gehören einige Kampfhunde, zudem sind die «Kameraden» offenbar bewaffnet. Zu Beginn der Besatzung sollen während einer Auseinandersetzung mit linken Gegnern Schüsse gefallen sein. Vor dem von Neonazis geplanten «Kraft durch Freude»-Museum in Wolfsburg – ebenfalls ein Projekt von Rieger – wurden Anfang Juli Journalisten verprügelt.

Das niedersächsische Innenministerium sieht sich immer häufiger mit Forderungen nach einem Verbot der rechtsextremen Kameradschaft 73 Celle konfrontiert. Sie ist nicht nur in Faßberg aktiv, sondern organisiert auch regelmäßig die keltisch-heidnischen Sonnenwendfeiern in Eschede, bei denen nationalsozialistische Ideologie propagiert wird. Laut Verfassungsschutzpräsident Heiß ist ein Verbot zwar möglich, dies würde das Problem Rechtsextremismus aber nicht lösen:
«Am Tag nach dem Verbot würde sich eine neue Verbindung gründen, eine Kameradschaft 75 oder 88», sagt er.

Die Faßberger jedenfalls wollen so lange protestieren, bis sich die Kameradschaft 73 aus ihrer Nachbarschaft verzogen hat. Das Landhotel wird allerdings frühestens nächste Woche geräumt werden können. Am Dienstag entscheidet das Landgericht Lüneburg über einen entsprechenden Eilantrag des Zwangsverwalters. Bis dahin dürften NPD-Mann Rieger und seine «Kameraden» ihr wesentliches Ziel erreicht
haben, wie Verfassungsschutzpräsident Heiß sagt: Für Aufregung gesorgt und sich mit einer prestigeträchtigen Aktion vor der Bundestagswahl «positioniert» zu haben.